"Willkommen zu Hause", werde ich in meinem Zug vom Schaffner begrüßt
Datum: geschieht an jedem Tag, an dem die Bahn fährt
Tatort: häufiger in Fern- als Regionalzügen
Ich hätte diese kurze Geschichte auch "Der Aussteiger" überschreiben können. Nach meiner nicht repräsentativen und vorurteilsbeladenen Wahrnehmung zeigen das im folgenden beschriebene Verhalten jedoch ganz überwiegend weibliche Reisende mittleren Alters.
Datum: Freitag, 21. August 2015
Tatort: IC 2445 von Hannover nach Dresden
Die Bahn bezeichnet Menschen wie mich auf ihrer Webseite als "Extrempendler". Ich bin täglich viele Stunden auf "der Schiene" unterwegs und genieße es, entspannt unterwegs arbeiten, lesen und schlafen zu können. Es gibt jedoch Fahrten, die mich an meine Grenzen führen ... von diesen Erlebnissen berichte ich von Zeit zu Zeit in "Bahncard100-unterwegs".
"Prösterchen" schallt es von hinten, "schluck mal weg" von vorn. Es ist morgens um halb 9 und die Stimmung im IC nach Dresden erreicht einen ersten Höhepunkt.
Bis Donnerstag gehören die Züge um diese Tageszeit den Pendlern - zielstrebige, routinierte und eher die Abgeschiedenheit suchende Reisende auf dem Weg ins Büro oder Geschäft. Am Freitag ist
jedoch alles anders. Dann besetzen schon am frühen Morgen aufgekratzte Reisegruppen die Großraumwagen. Hier gilt es fein zu unterscheiden: Völlig chancenlos ausgeliefert ist der gemeine Pendler
gegenüber einer stimmgewaltigen Gruppe männlicher Heranwachsender, die sich bereits morgens mit zwei Kisten Bier intensiv auf ihr Kulturwochenende in Dresden vorbereiten. Bevor die jungen Kerle
nur noch der barocken Oper über ihre pilotentauglichen Kopfhörer lauschen werden, wird im vermeintlichen Partywagen der DB der Ghettoblaster noch einmal kräftig durchgepustet.
Wesentlich feinsinniger geht es da schon hinter mir in der 10-köpfigen Best-Ager-Frauengruppe zu, der es immerhin binnen 15 Minuten gelang, die reservierten Sitzplätze wie bei einer Klassenfahrt - wer darf neben wem sitzen? - untereinander aufzuteilen. Auch wenn sich dabei erste Sollbruchstellen für die geplanten Exkursionen in Dresden andeuten, so überwiegt doch zunächst die Freude über den "herrenlosen" Ausflug. Das führt zu einem Hierarchiegerangel in der Damengruppe und läßt dennoch bei allen ein Gefühl von Freiheit aufkommen. Was könnte diese Stimmung besser konservieren als ein "Proseccochen" am frühen Freitag morgen - die Damen sind mit gekühltem Schaumwein und Plastikbechern ganz ordentlich ausgerüstet.
Wesentlich vorausschauender und umfassender planen geschlechtlich gemischte Vereinsgruppen ihre Reise ins sächsische Weltkulturerbe. Fester Bestandteil aller Vereinsziele sind den Zusammenhalt fördernde Aktivitäten, die sich aus Kegelkassen, Strafgeldkatalogen auf Sitzungen o.ä. finanzieren. Die vor mir sitzende Gruppe manifestiert ihr Zusammengehörigkeitsgefühl durch das Tragen eines einheitlichen - und oftmals in der passenden Größe vergriffenen - weißen T-Shirts mit dem eigenen Namensschriftzug auf dem Rücken - so lerne ich "Manni", "Mutti" und "Heidi" näher kennen. Dem Gespräch kann ich - und aufgrund der Lautstärke bleibt mir auch gar nichts anderes übrig - inhaltlich gut folgen. Es geht vornehmlich darum, wer, bis wann und wovon wieviel getrunken haben will. Strategisch geschickt um die Tische im Großraumwagen platziert, will man keinesfalls dem eigenen Zeitplan gegenüber ins Hintertreffen geraten und füllt um 08:40 Uhr eine erste schöne Runde Jägermeister ein, die sich nach einem lauten "Schluck weg das Zeug" ins Nichts auflöst.
Der müde Pendler zwischen diesen beiden Gruppen sehnt seinen Ausstieg in Braunschweig herbei. Frage an die Bahn: Gilt Alkoholverbot in Zügen eigentlich nur für Fußballfans am Wochenende?
Der kritische Leser mag einwenden, daß der Pendler doch schlicht und einfach den Waggon hätte wechseln können. Im Prinzip ja, aber der Pendler folgt strengen Gewohnheiten und fährt immer im gleichen Wagen - wäre ja noch schöner ...
Die Bahn bezeichnet Menschen wie mich auf ihrer Webseite als "Extrempendler". Ich bin täglich viele Stunden auf "der Schiene" unterwegs und genieße es, entspannt unterwegs arbeiten, lesen und schlafen zu können. Es gibt jedoch Fahrten, die mich an meine Grenzen führen ... von diesen Erlebnissen berichte ich von Zeit zu Zeit in "Bahncard100-unterwegs".
Datum: Sonntag, 5. Juli 2015
Tatort: RE 79477 von Cottbus nach Berlin
Es roch zu meiner Linken etwas streng. Die Ursache dafür waren etwa nicht die sich beim Engtanz nahekommenden Mitreisenden im Gang, sondern die offenstehende Toilettentür gleich gegenüber. Der letzte Nutzer dieser Sanitäranlage der "DB", ein stattlicher Herr mittleren Alters, hatte ganz einfach ein schlechtes Timing. Während seines Aufenthaltes in diesem isolierten Bereich, stoppte auch der Zug und unser Waggon nahm weitere Fahrgäste - gibt es eigentlich eine Höchstgrenze an Passagieren für jeden Waggon, die das viel gerühmte Eisenbahnbundesamt vorschreibt? - für die Weiterfahrt nach Berlin auf. Somit gab es für den Nutzer der sanitären Einrichtung kein Entkommen mehr.
Der Rückweg aus dem WC war vollends von anderen Reisenden blockiert. Lediglich eine waghalsige Kletterpartie im 5. Schwierigkeitsgrad über die im Gang wie Malefiz-Barrikaden geschickt positionierten Gepäckstücke hätte unseren Nutzer noch zu seinem Platz zurückbringen können. Das war jedoch viel zu riskant. Er zog stattdessen die Beinfreiheit in seinem 1-Mann-Abteil bei geöffneter Tür vor. Mit einer noch halb vollen Flasche Bier in der Hand, ließen sich die restlichen 1 1/2 Stunden bis Berlin ganz gut überbrücken. Wenn nur dieses explosive Luftgemisch aus mit der Körperwärme kämpfenden Deodorants und Toilettenreinigungsmitteln nicht gewesen wäre.
Die Situation spitzte sich ein wenig zu, als aus gut 10 Metern Entfernung die Nachricht verbreitet wurde, daß ein junges Mädchen ebenfalls die Notwendigkeit verspürte, den Sanitärraum zu erreichen. Daraufhin zeigten insbesondere die Fahrgäste im Gang eine Körperbeweglichkeit, die einer hochklassigen Kür in der rhythmischen Sportgymnastik zur Ehre gereicht hätte. Das Mädchen wurde virtuos von Hand zu Hand weitergereicht, Passagiere windeten sich aus dem Weg, um Platz zu schaffen. Fast am Ziel angekommen, mußte nur noch der ausgewachsene Genießer den Toilettenraum verlassen. Dies löste Schockwellen wie im Winterschlußverkauf unter den umstehenden Fahrgästen aus. In der Folge landete ein auf dem Rücken geschnallter Rucksack mittig - nach einer golferisch hervorragend ausgeführten vollen Schulterdrehung - in meinem Gesicht. Auf meinem Sitzplatz hielt ich meinen Kopf unglücklich in den Weg und wollte mich auch nicht beschweren, zumal die Dame mit ihrer vorweggenommenen Einwandbehandlung kundtat, hinten keine Augen zu haben. Das stimmte.
Nach diesen gelungenen Actionszenen waren es nur noch 1 1/4 Stunden bis Berlin. Es wurde richtig langweilig, die Menschen wurden immer lethargischer. Das Mädchen übernahm nun besitzstandswahrend das 1-Frau-Abteil, während wir Sitzenden - irritiert vom ersten aufkommenden Ziehen in den Waden - yogagleich versuchten, eine andere Beinstellung zwischen den Gepäckstücken einzunehmen. Über das Ausstiegsprozedere auf den Berliner Bahnhöfen - kompliziert, da sich die Passagiere zum Unverständnis der Bahn nicht nach dem "last-in-first-out"-Prinzip in den Waggons positioniert hatten - berichte ich beim nächsten Mal - vielleicht und nur, wenn mir bis dahin der Geruch wieder aus der Nase gestiegen ist.